Im Norden Tarnows vereinen sich zwei gegensätzliche Gesichter einer Landschaft.
Befindet man sich in Lützchensgrat, einer Ortschaft im Norden der Hochebene mit etwa 220 Seelen umringt von Äckern, Weiden und einem lichten Wald, so ahnt man nicht, dass sich lediglich zwei Meilen entfernt eine ausgedörrte Heide befindet in der sich knorrige Kiefern und Wachholder starrsinnig an der losen Bodenkrume festhalten, um in den sandigen Winden bestehen zu können.
Auf der Hochebene ist es wie in einer anderen Welt, von der aus man den Rauch der Köhlereien rund um die wenigen kleinen Weiler erblicken kann. Man verliert sich schnell auf dieser offenen Fläche mit ihren immer wiederkehrenden gelben und grauen Sand- und Gras-Landschaften, hier und da unterbrochen von grünen Hecken und kleinen Baumgruppen. Der Boden ist fest und ausgelaugt. Dort wo sich Regenwasser in Senken sammelt, versickert es schnell und taucht an anderer Stelle wieder auf, als ob unterirdische Gänge sie miteinander verbinden würden.
Es sind die untrüglichen Zeichen der Entrückung. Dieses Land schulterte Jahrhunderte und zahlte Tribute. Ruinen zeugen von einstigen Wehrbauten, die das Land vormals schützten. Nun liegt es schutzlos da, den Elementen ausgeliefert.
Durch die brach liegenden Bachläufe flossen einst frische Gebirgsbäche, hinab durch die lichten Wälder ins Tal. Was geblieben ist, ist der Fluss Garve, der sich träge von Süden herauf, an der normontischen Grenze entlang, bis zum Drachenmeer schlängelt. Nach schweren Regenfällen ist er voller Sand und Erde, sodass alles, was man hinein taucht, nur noch schmutziger wieder hervorkommt.
Doch verändert sich die Landschaft auch hier und da mit der Zeit, grünt und erblüht wieder auf ein Neues. Gerade am dichten Waldesrand, der sich wie eine grüne Wand dort erstreckt, wo sich ganz in der Nähe einst die wandelnden Toten mit Tecaten und Entsatzheer schlugen und Krieg und Verwüstung herrschten, die das Land in die Knie zwangen, wächst nun Heidekraut Zoll um Zoll in die sandige Landschaft und verleiht dieser an mancher Stelle einen seidigen Glanz des Neuanfangs.
In Lützchensgrat hingegen trifft man ein geschäftiges Dorfleben an. Buchenholz wird aus den dichten Wäldern geschlagen, in Köhlerstätten verkokst und säckeweise nach Iskalien und über die Drachenmeer Hanse in andere Länder verkauft. Ein kleiner wöchentlicher Markt hat sich hier etabliert, bei dem sich ausländische Händler mit den lokalen Erzeugnissen versorgen und Neuigkeiten aus der Welt herantragen. Neben Kohle sind vor allem getrocknetes Schweinefleisch und eine weitere Spezialität, kleine knollenartige Pilze, sehr geschätzt. Beide Erzeugnisse gehen auf die reich beladenen Wald- und Weideplätze zurück, auf denen die Hirten ihre Schweine nach Pilzen, Bucheckern und Eicheln suchen lassen. Das Fleisch der fetten Tiere, vor allem der in den Stuben geräucherte Schinken, sichert dem Dorf ein gutes Auskommen. Einige dieser Tiere finden ab und an schwarze Pilze, kräftig und erdig im Geschmack mit denen sich das ein oder andere Silberstück auf den Märkten in Thallengar oder außerhalb Tarnows verdienen lässt, sofern der Hirte schnell genug ist diese den Schweinen vor der Nase zu stibitzen. Hier, im Süden des Lehens, ist der Wald tief verwurzelt in guter schwarzer Erde. Die etwa ein Dutzend Rodungen rund um die Köhlerhütten bringen gute Saatfläche zum Vorschein und hier und da gesellen sich weitere Bauern und Arbeiter hinzu und schlagen ihre Hütten auf.
Befindet man sich auf dem Marktplatz in Lützchensgrat, so sieht man neben den vielen Holzhütten auch wenige Häuser aus Fachwerk und manchmal sogar solche, die sich Schieferschindeln leisten konnten. Meist jedoch wird mit Holzschindeln oder mit Stroh gedeckt. Die Räucherhäuser am Rande des Dorfes erkennt man an den schwarzen Türen, die bei Vollmond aussehen wie Waldungeheuer mit riesigen schwarzen Mäulern und hier und dort winzigen aufleuchtenden roten Augen, wenn sich ein Funke verirrt. Lieblingsbeschäftigung und Nebenerwerb vieler Einwohner ist das Aufziehen von Kaninchen, die dann an den Festtagen geschlachtet werden. Schon das ein oder andere Mal keimte Aberglaube auf, als die vornehmlich grauen und schwarzen Kaninchen plötzlich reinweiße mit roten Augen hervorbrachten.
Dem zivilisierten Yddländer aus den Kronlanden mag dieser Menschenschlag roh und misstrauisch erscheinen, doch begegnet man ihnen mit Respekt, erfährt man durchaus ihre Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Wein, oder gar Port, sind hier eher selten. Gebraut wird hier nur herbes Eichenbier und dunkler Bock. Anzumerken ist ebenfalls die starke Präsenz des Tecatenordens – ein militärischer Kirchenorden der Sieben Götter – über den hinter vorgehaltener Hand Gerüchte rund um die Entrückung erzählt werden. Seinen Streitern begegnen die Menschen jedoch voller Ehrfurcht und Dankbarkeit, da sie ihnen lange Zeit Schutz und Frieden boten, was gerade in de Nähe zweier Landesgrenzen ein Segen für den Ort war. Die Menschen sehen sie als Symbol der alten Zeit voller Frieden und Wohlstand und hoffen, dass sie diese erneut bringen. Anders als auf der Insel, wo der Siebenglaube erst mit Markgraf Tassilo von Yddland Einzug hielt, ist der Glaube an die Sieben – nicht zuletzt durch die starke Präsenz des Tecaten Ordens – seit jeher in den Köpfen der Menschen in Tarnow verankert und spiegelt sich auch im Alltag wieder.